Abdeckplanen auf Gletschern, „Leichentücher aus Plastik“

Die Gletscher sterben, und „die Geotextilplanen, mit denen man sie abzudecken versucht, laufen Gefahr, zu einem Leichentuch aus Plastik zu werden, das sie nicht schützt, sondern ihre Todesursache noch vorantreibt – nämlich die Treibhausgasemissionen“. Jacopo Gabrieli ist Forscher am Institut für Polarwissenschaften des CNR in Venedig. Er hat an großen Forschungsprojekten von den Alpen bis nach Grönland, von der Antarktis bis nach Spitzbergen teilgenommen und gehört zu den 39 Glaziologen und Klimatologen, die einen offenen Brief gegen den Einsatz von Geotextilien zur Verlangsamung der Gletscherschmelze unterzeichnet haben, und zwar zusammen mit acht Organisationen und Institutionen: Comitato Glaciologico Italiano, Fondazione Montagna Sicura, Italian Climate Network, Servizio Glaciologico Alto Adige, Servizio Glaciologico Lombardo, Società Alpinisti Tridentini, Società Meteorologica Alpino-Adriatica, Società Meteorologica Italiana.

Eine Frage der Kohärenz

Warum haben Sie sich entschlossen, Stellung zu beziehen? Helfen die Planen nicht, die Schmelze zu verlangsamen?

„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Planen vor Ort zwar dazu beitragen können, das Abschmelzen der Gletscher zu verlangsamen, und dass sie in der Vergangenheit als eine Form der Anpassung an den Klimawandel für die dort stattfindenden wirtschaftlichen Aktivitäten erschienen sind. Die einzige wirkliche Möglichkeit, die Gletscher zu retten, besteht jedoch darin, den Ausstoß von Treibhausgasen in die Atmosphäre zu stoppen“, erklärt Gabrieli.

In dem Schreiben der Wissenschaftler werden die Widersprüche einer Praxis aufgezeigt, die diese Ökosysteme schützen soll: von den Auswirkungen des Treibstoffs der eingesetzten Pistenraupen, über die Produktion der Kunststoffe, aus denen die Planen hergestellt werden, bis hin zu den Folgen der Freisetzung der Kunststofffasern und dem „Ersticken“ von Pflanzen und Tieren, die aufgrund des Klimawandels in höhere Lagen ziehen. „Ein abgedeckter Gletscher ist eine künstliche Ansammlung von Wasser in einem festen Zustand – isoliert, unzugänglich und unpassierbar. Sind das wirklich die Gletscher, die wir für künftige Generationen retten wollen?“, schreiben die Wissenschaftler.

Allerdings ist diese Praxis nicht sonderlich weit verbreitet: Was beunruhigt Sie?

„Das begleitende Narrativ: Es sollte klar sein, dass dies ein Weg ist, um legitime wirtschaftliche Aktivitäten zu erhalten, aber stattdessen wird es zunehmend als ein nachhaltiger Eingriff und als eine Lösung für die negativen Auswirkungen des Klimawandels dargestellt. Ich denke, dass es sich dabei um eine der Folgen dessen handelt, was ich als ‚das Geschäft mit der Nachhaltigkeit‘ bezeichnen würde.“ Kurzum, ein Versuch des Greenwashing, der, wie Glaziologen und Klimatologen schreiben, „die Gefahr birgt, Verwirrung zu stiften und das Umweltbewusstsein, das in den letzten Jahren mühsam gefestigt wurde, zu gefährden.“

Keine Abkürzungen

Nach Ansicht der Unterzeichner des Schreibens ist „das Festhalten an umweltschädlichen Vorgehensweisen mit dem Ziel, Wirtschaftstätigkeiten aufrechtzuerhalten, die aufgrund des Klimawandels selbst zunehmend an Rentabilität verlieren, das Gegenteil von Anpassung, nämlich verbissenes Beharren.“ Welche Alternativen gibt es also? „Die Gletscher können nur gerettet werden, wenn das Klima des Planeten stabilisiert wird, da gibt es keine Abkürzungen“, heißt es in dem Dokument. Wenn es nicht gelingt, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, werden die Alpengletscher bis zum Ende des Jahrhunderts fast vollständig verschwinden, während eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf unter 2 °C 40 % des heutigen Eises in den Alpen retten würde. „Das ist nicht wenig!“, schlussfolgern die Wissenschaftler.

Ein Blick auf den Sommer

Die geringen Winterniederschläge sind sicher keine Hilfe: Werden die Gletscher in diesem Sommer weniger geschützt sein und früher zu schmelzen beginnen?

„In den letzten Wochen (vor dem letzten Schneefall, Anm. d. Red.) lag das Eis auf der Marmolada bereits blank“, betont Gabrieli.  „Die Gletscher werden durch die Niederschläge im Winter gespeist; im Sommer schmilzt der Schnee – und wenn kein Schnee mehr da ist, dann schmilzt das Eis. Wenn es wenig Schnee gibt, wird dieser Prozess folglich schon im Juni beginnen und nicht wie üblich zwischen August und September.“

Was wäre, wenn es zwischen März und April noch zu starken Schneefällen kommen würde?

„Das würde wenig bringen, denn an einem einzigen heißen Tag im Mai können bis zu 20 oder 30 cm Schnee schmelzen. Winterschnee hat eine Temperatur von -10°, Frühjahrsschnee ist isotherm und hat nicht die Pufferkapazität von Winterschnee. 

Ph. Francesca Ferri e Elena Bertoni