Carraros Blick auf einen Gletscher, den es nicht mehr gibt

Das neueste Werk des Journalisten und Schriftstellers Giovanni Carraro wurde am 27. November im Rahmen eines gut besuchten Abends in Dosoledo di Comelico Superiore vorgestellt. Begleitet wurde er auf der Reise und bei der Videoerzählung von Telebelluno-Direktor Andrea Cecchella, Historiker Giovanni De Donà, Geologe Gianluca Piccin und Kameramann Mauro Dalle Feste. Der Dokumentarfilm, der auch dank der Zusammenarbeit mit der Stiftung Dolomiten UNESCO entstanden ist, erzählt am Beispiel der Gruppe der Hochbrunnerschneid die Geschichte eines Gletschers, den es nicht mehr gibt, und liefert darüber hinaus wie üblich Informationen über Wanderungen und Geschichte.

Ein Rückzug, der erst kürzlich geschehen und endgültig ist

Geologen Gianluca Piccin erklärt: „Heute gibt es dort fast nichts mehr, während auf wenigen Jahre alten Wanderkarten noch ein Gletscher eingezeichnet ist. Aber das ist noch nicht alles: Wenn wir weiter nach oben blicken, sehen wir ein typisches U-förmiges, schwebendes Gletschertal. Hier befand sich der Hängegletscher, der auf Fotos aus dem Ersten Weltkrieg mit einer Dicke von fünfzig Metern dokumentiert ist.“ In dem Dokumentarfilm ist zu sehen, wie man an den Wänden dieses kleinen Tals dank der unterschiedlichen Färbung des Gesteins genau die Grenze erkennen kann, bis zu der das Eis reichte.

Eine Nachricht aus dem Comelico … an die COP26

Die Gründe für dieses Werk haben wir uns vom Regisseur selbst erklären lassen: Warum hat er das Beispiel der Hochbrunnerschneid gewählt, um das große Thema der Gletscherschmelze zu erzählen?

Das Ganze geht auf ein Projekt zurück, an dem ich seit einigen Jahren mit Geologen arbeite, um ein Buch über Geotourismus zu schreiben. Wir haben bereits mehrere Exkursionen und Dokumentarfilme, insbesondere in den Dolomiten, gedreht: „La Croda da Lago e il Rifugio G_Palmieri“ (Die Croda da Lago und die G. Palmieri Hütte); „L’anello del Pelmo“ (Der Pelmo-Ring); „Il Cernera e il Mondeval“ (Der Cernera und der Mondeval); „Col Quaternà, il vulcano delle Dolomiti“ (Der Knieberg, der Vulkan der Dolomiten); „Col dei Bos, la montagna dell‘ambra“ (Col dei Bos, der Berg des Bernsteins); „Tre Cime di Lavaredo, la Trinità delle Dolomiti“ (Die Drei Zinneno, die Dreifaltigkeit der Dolomiten); „Setsass, la montagna dei due atolli“ (Setsass, der Berg der zwei Atolle). Da das Gebiet der Hochbrunnerschneid noch fehlte, haben wir uns zu Beginn des Sommers zusammengesetzt und die achte Strecke, „Gli antichi ghiacciai del Popera“ (Die alten Gletscher der Hochbrunnerschneid) beschlossen. In diesem Projekt bin ich für den Wanderteil zuständig, während die Geologen den naturkundlichen und geologischen Teil übernommen haben. Ich interessiere mich sehr für dieses wissenschaftliche Fachgebiet, weil ich dabei neue Dinge kennenlerne, die man nicht bemerkt, wenn man nicht direkt vor Ort eine geführte Wanderung macht. Jede Strecke hat ein eigenes Thema, z. B. der Pelmo mit seinen Dinosaurier-Fußabdrücken, der Knieberg als alter Vulkan, der Bernstein von Col dei Bos, der Millionen Jahre alte Organismen enthält, und vieles mehr. Für die Hochbrunnerschneid haben wir das Thema der schwindenden Gletscher ausgewählt – das dies zeitlich mit der COP26 in Glasgow zusammenfällt, ist kein Zufall. Zu vielen dieser Strecken gehört auch ein Dokumentarfilm, bei dem ich als Produzent und Regisseur tätig bin. Im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten waren diese Arbeiten immer erfolgreich, auch dank Telebelluno und der Stiftung Dolomiten UNESCO, die mich oft unterstützen.

Wie sollte sich der Tourismus in den Bergen angesichts der im Dokumentarfilm beschriebenen Situation ändern?

Ich hoffe, dass meine redaktionelle und auch filmische Arbeit dazu dient, das Bewusstsein der Menschen zu schärfen, die in den Bergen wandern – und nicht nur. Wenn ich in Treviso über das UNESCO-Welterbe der Prosecco-Hügel von Conegliano und Valdobbiadene spreche, wiederhole ich oft, dass wir Gold unter unseren Wanderschuhen haben – ein Gut von unschätzbarem Wert, das unabhängig von politischen Überlegungen bewahrt werden muss. Die Berge gehören allen.

Quantitativ gesprochen ist die menschliche Geschichte im Vergleich zur geologischen eher kurz. Doch die Kriege, die in diesen Bergen stattfanden, waren blutig, und viele der Ereignisse von 1915-18 zeugen auch von den Veränderungen der Landschaft, die der Mensch herbeigeführt oder einfach miterlebt hat.

Ich beziehe in meine Dokumentarfilme in der Regel Geschichten aus dem Erster Weltkrieg ein, weil jeder Berg etwas zu erzählen hat. Im Fall der Hochbrunnerschneid ist das Thema noch präsenter, denn neben dem dramatischen Aspekt einer schrecklichen Zeit ist auch die wissenschaftliche Ebene der Erzählung sehr wichtig. Ein Foto, das vor hundert Jahren aufgenommen wurde, zeigt deutlich, dass sich auf dem Hängegletscher des Berges eine 50 m dicke Eisschicht befand, von der heute nichts mehr übrig ist. Ein weiteres Element: der von den Soldaten benutzte Weg zum Sentinel-Pass, der abgerutscht und daher heute fast unzugänglich ist: Es gibt keinen Permafrost mehr, der ihn stützt.

Was treibt Sie an, die Geschichte der Dolomiten zu erzählen?

Ich habe einfach eine große Leidenschaft für das Wandern in der Natur. Ich genieße die körperliche Anstrengung, die mir ein gutes Gefühl gibt, wenn ich anschließend nach Hause komme und das Feuer für ein schönes Grillfest mit Freunden entfache. Dies hat mich dazu veranlasst, meine Erfahrungen aus vielen Jahren des Wanderns in den Bergen zu schildern. Ich wurde Buchautor, dann Journalist und schließlich Dokumentarfilmer – immer zu einem einzigen Thema: den Bergen. Und das alles mache ich als Hobby, denn hauptberuflich arbeite ich als Autohändler. Zwei Seiten derselben Medaille, die eine als Unternehmer, die andere als Wanderer. Und darauf bin ich stolz.

Ph. Rita Zandonella, Rifugio Berti – Vallon Popera