Die Dolomiten sind Protagonisten beim TEDx in Trient

Wird irgendwann einmal das Paradigma, nachdem die Randgebiete (Berge, Inseln, ländlichen Gebiete) nur als Peripherie der großen urbanen Zentren dienen, aufgegeben werden? Darüber hat sich schon so mancher in der Vergangenheit Gedanken gemacht. Und könnte dies auch eine Option für die Zukunft Europas darstellen? Mit dieser provokanten These präsentierte sich die Direktorin der Stiftung Dolomiten UNESCO, Marcella Morandini zur Diskussion auf der sechsten Ausgabe des TEDx in Trient, das am 1. Dezember im Teatro Sociale stattgefunden hat.

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HIC SUNT LEONES

Dieser Satz drückt sehr gut das Anliegen der Organisatoren von TEDx aus, unbekannte Länder zu erforschen, um in fremden Kulturkreisen neue Wege zu beschreiten und nach neuen sozialen, technologischen, kulturellen, aber auch politischen Innovationen zu suchen. Dieser letzte Aspekt stand auch im Mittelpunkt des Diskussionsbeitrages von Marcella Morandini: sie referierte über drei verschiedene Autonomieformen, die der Bevölkerung in drei verschiedenen Gebieten Europas im elften Jahrhundert gewährt wurden, und wie der Zufall es so will, sind heute alle drei Welterbestätten der UNESCO: „Der Widerstand in den sogenannten Randgebieten entstand nicht nur aus dem Gedanken heraus, sie zu bewahren“, so Morandini, „sondern ist auch eine politische Frage, eine mentale Revolution, ein Umdenken ihrer Funktion“.

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WATTENMEER, DOLOMITEN, ÄOLISCHE INSELN

Im Gegensatz zum restlichen Europa war der Feudalismus in Friesland zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert kaum verbreitet. Es gab keine Leibeigenschaft und keine zentrale Verwaltung. Die Friesen waren frei, sie schuldeten nur dem Kaiser Gehorsam. Worauf beruhte dieses Privileg? Die Friesen hatten die wichtige Aufgabe, die Küsten der friesischen Inseln zu schützen und das Land zu bonifizieren und urbar zu machen. Heute gehört dieses Gebiet zur Welterbestätte der UNESCO Wattenmeer, um die einzigartige Landschaft, das Land und das Wasser, eben das Wattenmeer, zu schützen. Zur gleichen Zeit entstanden auch in den Dolomiten freie Gemeinden, die weitreichende Formen der Autonomie erhielten, und auch hier geschah dies im Namen der Landschaftspflege; 1111 wurde der Grundstein für die Magnifica Comunità di Fiemme gelegt, damit die Bewohner dieser Gebiete sich um ihre Heimat kümmern. Und schließlich wurde am Ende des 11. Jahrhunderts ein anderer UNESCO-Standort, die Äolischen Inseln, von Mönchen besiedelt, die vom Grafen Roger ausgesandt worden waren, um diese unbewohnten Gebiete zu besiedeln und deren landwirtschaftliche Nutzung voranzutreiben.

NICHT NUR RESILIENZ

Heute gehören diese Gebiete zu den schönsten Tourismuszielen, sind aber von einem demografischen, politischen und wirtschaftlichen Standpunkt aus irrelevant. Sie sind zwar von der UNESCO in die Liste des Welterbes aufgenommen, aber welchen Wert können sie schon haben, wenn sie für die dort lebenden Menschen kein Naturerbe mehr darstellen, weil sie oft gezwungen sind, ihre Inseln und Berge zu verlassen, um irgendwo anders zu leben? Daher auch die Provokation von Marcella Morandini: „Was wäre, wenn wir das Problem mit der Lösung verwechseln, wenn die periphere Lage dieser wunderbaren Landschaften der Anstoß dazu wäre, die europäische Territorialpolitik zu überdenken? Die Aufnahme in die Liste des Welterbes der UNESCO kann eine wunderbare Gelegenheit sein, um den Tourismus, den Umweltschutz und die Aufwertung der Gebiete wiederzubeleben, um die Landwirtschaft und den Handel anzukurbeln und um altbewährte traditionelle Produktionsformen zu neuem Leben zu erwecken. Das funktioniert aber nur, wenn das sensible Gleichgewicht zwischen Natur, Kultur und Wirtschaft erhalten bleibt, und dazu ist es in den urbanen Ballungsgebieten wahrscheinlich zu spät. Gerade deshalb könnten gerade die Suche nach einem komplexen, wenngleich möglichen Gleichgewicht in diesen scheinbar peripheren Gebieten die europäische Territorialpolitik neu inspirieren und zu einem Paradigmenwechsel führen: weg vom städtezentrierten Standpunkt mit den sozialen, demographischen und ökologischen Brennpunkten der Städte.

Ph. Matteo De Stefano | TEDxTrento